1232.
Brief
31.
Januar 2020
Neonikotinoid-Insektizide
beeinträchtigen entscheidende soziale Verhaltensweisen von Hummeln
und könnten so auch zur Dezimierung anderer Bestäuberinsekten
wie Bienen beitragen. Das hat ein amerikanisches Team mit Hilfe kleiner
Roboterplattformen zur Überwachung der Hummelnester herausgefunden.
Wie die Forscher in „Science“ berichten, stören die Neonikotinoide
in landwirtschaftlich üblichen Konzentrationen die Aktivität
der Arbeiterinnen im Nest. Die Tiere sind vor allem nachts weniger aktiv,
fressen weniger,
kümmern sich
weniger um die Larven und lassen die Wärmeregulation des Nestes generell
schleifen. Durch die Nervengifte beeinträchtigte Arbeiterinnen halten
sich überhaupt weniger im Innern als an der Peripherie des Nestes
auf. Zusammen mit Glyphosat werden Blütenbestäuber massiv geschädigt.
Wissenschaftler der Universität Texas wiesen nach, dass einige Darmbakterien
der Honigbiene durch Glyphosat beeinträchtigt werden. Diese sind für
die Verarbeitung von Nahrung und für die Abwehr von Krankheitserregern
wichtig. Die Forscher beobachteten Veränderungen in der Darmflora
drei Tage nach einer Fütterung mit Glyphosat in Konzentrationen, wie
sie in der Umwelt gemessen wurden. Wenn die Darmflora gestört ist,
sind die Bienen anfälliger für Stressfaktoren wie Krankheitserreger
und minderwertige Nahrung. Beide Wirkstoffe, Neonikotinoid-Insektizide
und Glyphosat werden weiterhin massiv in der Umwelt ausgebracht. Sogar
Städte und Gemeinden verteilen Glyphosat weitflächig mit ihren
Kehrmaschinen, vor allem wenn sie Brücken, Straßen und Plätze
am Wasser besprühen. [69]
Bei den Zusatzstoffen der Pestizide kann es sich beispielsweise um Stabilisatoren, Benetzungs- oder Antischaummittel handeln. Auch sie können giftig sein oder Wechselwirkungen verursachen. Als Beispiel führen Wissenschaftler vom King's College in London Unkrautvernichter mit dem Wirkstoff Glyphosat an, von denen weltweit rund 750 Produkte mit jeweils anderen Mixturen vermarketet werden. "So zeigen Studien mit Zellkulturen und unterschiedlichen Labortieren, dass einige dieser Produkte 1000 Mal giftiger sind als Glyphosat allein. Weitere Versuche zeigten stärkere negative Auswirkungen der Mixturen unter anderem auf den Hormonhaushalt, die Leber und die Darmbakterien von Versuchstieren." [66]
Nicht nur vom intensiven Obstbau droht Gefahr, sondern auch von sogenannten Guttationstropfen; diese sitzen als runde Wassertröpfchen meist auf den Blattspitzen und den Blatträndern. Die Guttationstropfen zum Beispiel an Mais, Getreidepflanzen, Raps usw. können sehr hohe Giftkonzentrationen beinhalten, die auch ohne weiteres das 100-fache der für Bienen tödliche Dosis enthalten können. Das mit Clothianidin behandelte Saatgut, das zum Bienensterben geführt hatte, darf nicht mehr verwendet werden. Neonikotinoide werden nicht nur eingesetzt bei Raps, Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Tomaten und Gewächshauskulturen, sondern auch auf Golfplätzen; zum Teil lassen sich diese "systemischen" Mittel im Boden, in Gräben und Wasserläufen wiederfinden. Außerdem gibt es noch genügend andere giftige Mittel; zum Beispiel das Insektizid "Force 1.5 G". Tefluthrin ist ein breit wirksames Nervengift. Ein anderes Insektizid mit demselben Wirkstoff, das bei Futter- und Zuckerrüben zugelassen ist, gilt als sehr giftig für Wasserorganismen und kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkung haben. Auch für Bienen ist dieser Stoff hochgradig giftig. Dabei gibt es längst Möglichkeiten, in der gesamten Landwirtschaft ohne Pestizide (insbesondere Neonikotinoide und Glyphosat / Roundup) auszukommen. Die einzig zuverlässige und umweltverträgliche Methode, den Maiswurzelbohrer zu bekämpfen, ist die Fruchtfolge! [9][10][48]
Durch Panschereien mit Chemikalien werden chemisch-synthetische Gifte entwickelt, die dann von sogenannten "Phytomedizinern" als Pflanzenschutzmittel bezeichnet und in der Regel bei Sicherheitsprüfungen als harmlos durchgewunken werden. Die führenden fünf Unternehmen verkaufen große Mengen hoch gefährlicher Pestizide. Die meisten Pestizid-Portfolios von BASF, Bayer Crop Science, Union Carbide (Bhopal-Katastrophe) / Dow Agro-Science, Monsanto und Syngenta sind so giftig, dass sie verboten werden müssten und zunehmend auch verboten werden. Insektizide mit bienengefährlichen Inhaltsstoffen wie die Neonikotinoide: Imidachloprid (Gaucho), Clothianidin (Poncho, Santana), Fipronil (Regent), Thiametoxam (Cruiser, Actara), Deltamethrine (Decis), Methiocarb (Mesurol), Thiacloprid sind zum Teil 6000 bis 7000 mal toxischer sind als DDT, und werden zum Beispiel bei Mais, Raps, Zuckerrüben, Getreide, Hopfen und Sonnenblume eingesetzt. Wie kommt es, dass diese Pestizide überhaupt zugelassen werden? Zu diesem Zweck wurde nicht nur von den "Phytomedizinern" eine neue Art der Wissenschaft gegründet, die sogenannte groteske oder Schrott - Wissenschaft ("junk science"). Diese Wissenschaft hat unbemerkt den Platz der eigentlichen, unabhängigen Wissenschaft eingenommen und liefert die passenden Ergebnisse sowohl für die Pestizid- als auch für die Biotech-Portfolios. Glücklicherweise gibt es aber auch noch unabhängige Wissenschaftler. Diese haben herausgefunden, dass die Blattguttationstropfen aller Maispflanzen, die aus mit Neonikotinoiden gebeiztem Samen gekeimt sind, Mengen des Insektizids enthalten, die bis zu 200mg/l betragen können. Die Konzentration der Neonikotinoide (Imidachloprid, Clothianidin, Thiamethoxam) in Guttationstropfen bekommt damit Werte, wie sie bei der Anwendung von Wirkstoffen als Spritzung zur Schädlingsbekämpfung üblich sind; oder sie gehen sogar noch darüber hinaus. Wenn die Bienen Guttationstropfen aufnehmen, die von Pflanzen stammen, welche aus Samen gewachsen sind, die mit Neonikotinoiden gebeizt wurden, sterben sie innerhalb weniger Minuten. [24][25][39]
Ein Internationales Forscherteam unter Schweizer Führung hat nun herausgefunden, dass weit verbreitete Nicotinoide die Fortpflanzung von Bienenköniginnen stark beeinträchtigen können. [58]
Wie weit verbreitet diese Neonikotinoide bereits sind, zeigt eine Präsentation der Firma Syngenta: Auf über 90 % der Flächen in der EU, auf denen Raps angebaut wird, ist mit Neonikotinoiden gebeiztes, also vergiftetes Saatgut im Einsatz. Bezüglich Zuckerrüben sind es über 95 %. Bei Sonnenblumen, Mais und Getreide beträgt der Anteil bis zu 60 %. In Deutschland und anderen Ländern stellen Neonikotinoide mittlerweile einen großen Anteil an den Insektiziden. 250 Tonnen wanderten im Jahr 2010 allein in Deutschland auf die Äcker. Nicht nur das Bienensterben ist dadurch vorprogrammiert, sondern der Boden ganzer Landstriche ist auf lange Zeit kontaminiert. Das heißt Landbesitzer, die ihre Ackerflächen an die entsprechenden Landwirte verpachtet haben, erhalten ihr Land später als Giftmülldeponie zurück. Schadensersatzforderungen können die Landwirte treffen. In Wirklichkeit müssen aber die Pestizidhersteller wie Syngenta strafrechtlich verfolgt werden, sowie die Politiker - zum Beispiel staatliche Verbaucherschützer - die nichts dagegen unternommen haben, es versäumt haben, die gesamte Landwirtschaft ökologisch und bienengerecht zu organisieren. [55]
Die staatlichen Bieneninstitute sehen das erwartungsgemäß anders. Insbesondere LWG Bayern und die Landesanstalt Universität Hohenheim haben Versuche mit diesen neuartigen Pflanzenschutzmitteln (Santana / Clothianidin, Actara / Thiametoxam) durchgeführt und sind - da sie von Pflanzenschutzmittelherstellern wie Bayer Crop Science bezahlt wurden - natürlich zu anderen Ergebnissen gekommen: "Auf Volksebene konnten keine negativen Auswirkungen auf die Bienenvölker beobachtet werden." Es wurden wohl Pflanzenschutzmittel in den Bienenprodukten nachgewiesen, verständlicherweise aber keine von den Herstellern, die die Versuche bezahlt hatten, also: "Der Wirkstoff Thiametoxam und seine Abbauprodukte waren allerdings nicht nachweisbar". Was ist los mit dem schönen Bayern? Nicht nur der Chiemgau wird per Flugzeug mit Insektiziden besprüht, die Hopfenanbaugebiete werden mit Neonicotinoiden (Actara / Thiametoxam) verseucht, sogar Clothianidin wird bei Mais angewendet - und zwar regelmäßig, wenn Schnellkäferlarven (Drahtwürmer) auftauchen. Die Verseuchung der Bienen versucht man kleinzureden: "Obwohl Clothianidin-Rückstände in toten Bienen ab einsetzender Guttation nachzuweisen waren, wurden bei den Feldbeobachtungen nur in drei Fällen Bienen bei der Aufnahme von Guttationswasser beobachtet." [35]
Diese Pestizide verseuchen natürlich auch das Grundwasser, wie dies kürzlich in Österreich festgestellt wurde. Der Labortechniker des Umweltbundesamtes: "Die Probe hat meine Skala gesprengt." Sowohl das Insektengift Thiametoxam als auch das Unkrautvernichtungsmittel Cliopiralid töten Wasserorganismen schon in geringer Dosis. Thiametoxam wirkt als Neonicotinoid ähnlich wie Nikotin, das bekanntlich die frühe Entwicklung des menschlichen Gehirns stört.. [51]
Im Gegensatz zu Deutschland werden in Frankreich 36 glyphosathaltige Mittel nach 2020 nicht mehr erlaubt sein. "Das entspricht knapp 75 % der 2018 verkauften Menge. Vier Produkte sollen schon jetzt keine Zulassung mehr erhalten. Seit Beginn des Jahres ist der Einsatz glyphosathaltiger Mittel in Privatgärten untersagt." Doch das Imperium der Pestizidhersteller schlägt zurück: "Neun Glyphosathersteller, darunter die Firmen Byer, Syngenta, Albaugh und Nufarm, haben sich zur 'Glyphosate Renewal Group' zusammengeschlossen. Diese hat bei verschiedenen EU-Institutionen einen Antrag für eine Zulassungsverlängerung des Wirkstoffes über 2022 hinaus eingereicht." [83]
Bei Weizen, Mais oder im Obstbau werden weltweit mehr als 700 000 Tonnen Glyphosat ausgebracht mit schwerwiegenden Folgen für alle Lebewesen, inkl. Nutztiere. So soll Glyphosathaltiges Kraftfutter aus Amerika das Vieh krank machen. Einige Veterinäre und Biologen sprechen gar vom "chronischen Botulismus." Glyphosat und dessen Abbauprodukte sind Komplexbildner, die Nährstoffe sehr leicht binden und dadurch auch die Aufnahme von wichtigen aromatischen Aminosäuren blockieren. Durch die Antimikrobielle Wirkung der Chemikalie tötet es im Darm vor allem die nützlichen Bakterien und verschont die gesundheitsgefährdenden. "Die sind nämlich gegen Glyphosat resistent", was wiederum zu chronischen Darmkrankheiten führt - bei Mensch und Tier. [80]
Das vor kurzem verabschiedete Insektenschutzprogramm der Bundesregierung sorgt für anhaltende Diskussionen. Der Deutsche Bauernverband rechnet mit Ertragsverlusten und fordert eine Überarbeitung der Pläne, Umweltverbänden hingegen gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Teil des Programms ist auch die Reduzierung der Pestizidmengen, die in der Landwirtschaft zum Schutz der Pflanzen ausgebracht werden. Fakt ist: "Jedes Pestizid schadet, und zwar nicht nur Schädlingen. Besonders in Verruf geraten, sind Neonikotinoide. Mehr als tausend Studien haben gezeigt, dass die hochwirksamen Insektengifte auch Bienen und anderen Wildbestäubern schaden. Neonikotinoide stehen außerdem im Verdacht, auch Vögel, Amphibien, Fische und andere Wasserorganismen zu schädigen. Im Jahr 2018 hat die Europäische Union deswegen die Verwendung der drei Neonikotinoide Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid im Freiland untersagt. Für den chemischen Pflanzenschutz sind in Deutschland allerdings 280 Wirkstoffe zugelassen, darunter zwei weitere Neonikotinoide. Aus Sicht vieler Wissenschaftler reichen punktuelle Verbote und eine Reduzierung des Pestizideintrags allein nicht aus, um den ökologischen Schaden zu beheben, den die Hochleistungslandwirtschaft mit sich bringt. Sie fordern ein grundsätzliches Umdenken der landwirtschaftlichen Pflanzenschutzpraxis. „Schon das Zulassungsverfahren hat gravierende Mängel“, kritisiert Andreas Schäffer, Direktor des Umweltforschungsinstituts der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule. Jedes neue Pflanzenschutzmittel muss aufgrund seiner potentiell schädlichen Umweltwirkung und seiner großflächigen Anwendung in der Landwirtschaft ein Prüfverfahren bestehen. So wird etwa die tödliche Dosis eines Wirkstoffs geprüft. „Wie fast alle Pestizide wirken auch Neonikotinoide jenseits des Tötens“, sagt Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie der Universität Göttingen. So konnten Forscher verschiedenste sogenannte subletale Verhaltenseffekte bei Bestäubern nachweisen: Bienen, die nicht mehr zu ihren Stock zurückfanden, Hummelvölker, die kaum noch Königinnen produzierten. Effekte also, die in der Umweltprüfung nicht bewertet werden, die Tiere in Summe aber schwächen. Die ersten Neonikotinoide wurden Mitte der neunziger Jahre zugelassen. Aufgrund ihrer effektiven Wirkweise gehören sie inzwischen zu den weltweit meistverkauften Pestiziden. Sie wirken systemisch, verteilen sich also von der Wurzel bis in die Blattspitzen, und sie wirken gegen viele verschiedene Insekten. Fressen oder saugen Käfer, Blattläuse und Co. an einer behandelten Pflanze, greift das Gift ihr Nervensystem an und führt zum Tod. Den Landwirten erleichtern Neonikotinoide die Arbeit, da sie ihre Kulturen für einen längeren Zeitraum gut geschützt wissen. Besonders häufig wird das Saatgut mit den Mitteln behandelt, gleichsam ummantelt. Alternativ spritzen Landwirte die Insektengifte, wodurch ein Teil der Substanzen auch in den Boden und die Gewässer gelangt. Die Wirkstoffe verbreiten sich allerdings auch in Pollen und Nektar, und so kommen auch Bestäuber wie Bienen, Schwebfliegen, Falter und Hummeln mit ihnen in Berührung. Ein kürzlich neu entdeckter Übertragungsweg ist jener über Honigtau: Saugen Läuse und Zikaden an kontaminierten Pflanzen oder Bäumen, enthalten ihre zuckerhaltigen Ausscheidungen – eine beliebte Nahrungsquelle für viele Insekten – Neonikotinoide. Kritik ruft auch die Tatsache hervor, dass jedes Pflanzenschutzmittel nur isoliert geprüft wird. Die Realität auf dem Acker ist aber eine andere. Landwirte spritzen meist eine Kombination verschiedener Pestizide. Hinzu kommt, dass viele Kulturen mehrfach – Äpfel und Weintrauben bis zu zwanzigmal – behandelt werden und sich der Pestizidmix im Saisonverlauf unterscheiden kann. Auch das Saatgut wird häufig mit mehreren Wirkstoffen ummantelt. Ob es zu synergistischen Effekten kommt, ein Wirkstoff etwa die Wirkung eines anderen verstärkt oder verändert, ist unbekannt. „Die Kombinationswirkungen werden in der Risikobewertung systematisch ausgeblendet und die Risiken dadurch systematisch unterschätzt“, sagt Schäffer. Hinzu kommt, dass Neonikotinoide und andere Pestizide häufig deutlich beständiger sind als durch Modellrechnungen im Rahmen der Zulassung vorhergesagt. „Die Modelle bilden die Wirklichkeit schlicht nicht ab“, so Schäffer. Studien zeigen, dass sich Pestizide sowohl im Boden als auch im Wasser oft mehrere Monate, manchmal Jahre nachweisen lassen. Auch Blühstreifen – eine häufige Naturschutzmaßnahme, die Insekten zugutekommen soll – können mit Neonikotinoiden kontaminiert sein. „Ich wünschte, sie würden leuchten, dann könnte jeder erkennen, wie sehr unsere Umwelt mit Pestiziden belastet ist“, sagt die Biologin Martina Roß-Nickoll, die gemeinsam mit Schäffer Handlungsempfehlungen für einen nachhaltigen Pflanzenschutz erarbeitet hat." Eine Reduzierung der Pestizidmengen allein wird das Artensterben aber wohl nicht aufhalten. „Der Aufbau der Landschaft spielt wahrscheinlich eine noch größere Rolle“, sagt Tscharntke, „je kleiner die Felder, desto größer die Artenvielfalt – auch wenn diese intensiv bewirtschaftet werden.“ Denn Insekten bewegen sich entlang der Ackerränder. Über große Flächen Mais fliegen sie dagegen nicht. Um die Insekten- und Vogelwelt wiederzubeleben, braucht es also dringend strukturelle Maßnahmen wie Blühstreifen, Brachen, Hecken und Uferstreifen. Und eine standortgerechte und vielfältige Frucht- und Sortenwahl sowie den Anbau konkurrenzstarker und schädlingsresistenter Sorten. Als entscheidender Hebel für den Artenschutz gilt deshalb eine entsprechend ausgerichtete Agrarpolitik, die richtige Anreize setzt. Landwirte müssen für Ertragsausfälle entschädigt und für Naturschutz belohnt werden. Weitermachen wie bisher ist für Schäffer und seine Kollegen keine Option: „Andernfalls werden sich Insekten- und Vogelschwund und auch die Boden- und Grundwasserbelastung weiter verstärken. Es sollte im Interesse aller sein, Anbau- und Pflanzenschutzstrategien zu erarbeiten, die langfristig ausreichende Erträge gewährleisten, ohne dabei die Umwelt zu schädigen.“ Wenig hilfreich ist auch wenn Bieneninstitute für Beyer Studien erstellen und dem Konzern bestätigen, dass die Neonics kaum auswirkungen auf Bienen hätten. [79]
Pestizide können noch kilometerweit vom Einsatzort entfernt nachgewiesen werden. Dies betrifft auch Glyphosat, das z.B. in Landwirtschaft und kommunalen Kehrfahrzeugen zum Einsatz kommt. Dafür, dass Pestizide Krebs auslösen können, müssen nun Pestizidhersteller büßen. Kurz nachdem im Gerichtssaal im kalifornischen Oakland verkündet wurde, dass Bayer mehr als zwei Milliarden Dollar an zwei krebskranke Ehepartner zahlen soll, hatte einer der Geschworenen einen Rat für die Verteidigung. "Ein frustrierter Anwalt des Unternehmens fragte, was die Jury gern von seiner Seite gesehen hätte. Der Geschworene sagte, er hätte gerne demonstriert bekommen, dass Unkrautvernichtungsmittel mit dem Inhaltsstoff Glyphosat, die seit der Übernahme des amerikanischen Wettbewerbers Monsanto im vergangenen Jahr zu Bayer gehören, sicher sind. „Ich denke, ich wollte, dass Sie es trinken.“ Das war vielleicht nicht ganz ernst gemeint. Aber Vertreter der Jury machten nach dem Urteil klar, dass sie die wissenschaftlichen Experten der Klägerseite überzeugender fanden als diejenigen der Verteidigung. Und somit nicht der von Bayer auch in der Öffentlichkeit regelmäßig wiederholten Argumentation folgen, wonach Studien bewiesen hätten, dass Glyphosatprodukte bei sachgemäßer Anwendung sicher seien. Das Urteil in Kalifornien war der jüngste Schock für Bayer: Nach einem rund siebenwöchigen Prozess entschieden die Geschworenen, das Unternehmen sei für die Non-Hodgkin-Lymphome, an denen Alva und Alberta Pilliod leiden, verantwortlich zu machen. Sie befanden ausserdem, Monsanto habe nicht ausreichend vor den Risiken der Produkte gewarnt und mit „Arglist, Unterdrückung oder Betrug“ gehandelt. Die beiden Ehepartner sollen zusammen rund 55 Millionen Dollar für vergangenen und zukünftigen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Schaden bekommen, den sie durch ihre Krebserkrankungen erlitten haben. Dazu kommen als weitaus größerer Brocken für beide Ehepartner noch jeweils eine Milliarde Dollar als sogenannte „Punitive Damages“. Das ist im amerikanischen Recht eine oft zum Einsatz kommende Strafzahlung, die über den eigentlichen erlittenen Schaden hinausgeht. Dies ist nun für Bayer schon die dritte Niederlage im dritten Glyphosat-Prozess, und es ist die mit Abstand schwerste." Im August 2018 wurden einem krebskranken Mann von einer Jury 289 Millionen Dollar zugesprochen, diese Summe wurde mittlerweile von einem Richter auf 78 Millionen Dollar reduziert. Im zweiten Prozess entschieden Geschworene im März 2019, dass ein ebenfalls an einem Non-Hodgkin-Lymphom erkrankter Mann mehr als 80 Millionen Dollar bekommen soll. Bayer hofft, beide Urteile in Berufungsverfahren revidieren zu können, und hat jetzt nach der abermaligen Niederlage angekündigt, auch im jüngsten Fall Rechtsmittel einlegen zu wollen. Die vorläufigen Ausgänge der ersten drei Prozesse sind keine guten Vorzeichen für die kommenden Fälle. Nach jüngsten Angaben sieht sich Bayer in Amerika insgesamt fast 15.000 Glyphosat-Klagen gegenüber. Der nächste Prozess steht im August in Monsantos Heimatstadt St. Louis auf dem Programm. "Seit dem ersten verlorenen Glyphosat-Prozess hat die Bayer-Aktie mehr als 40 Prozent an Wert verloren. Wegen dieses immensen Wertverlustes hatte die Hauptversammlung Ende April dem Vorstand rund um Bayer-Chef Werner Baumann die Entlastung verweigert. Die Investoren werfen Baumann vor, die Prozessrisiken und die schlechte Reputation Monsantos unterschätzt zu haben." [74]
Gentechnik- und Pestizidhersteller werden zur Zeit mit Klagen überhäuft. Der amerikanische Anwalt Michael Miller hatte ein gutes Gefühl, bevor das Urteil kam. „Ich habe mir gedacht, dass die Geschworenen ein starkes Zeichen setzen werden“, sagt der Anwalt von Alva und Alberta Pilliod. Die Pilliods sind zwei Ehepartner, die beide an Krebs leiden und dafür Unkrautvernichtungsmittel mit dem Inhaltsstoff Glyphosat verantwortlich machen. Deshalb haben sie deren Hersteller Monsanto verklagt, der seit vergangenem Jahr zum deutschen Bayer-Konzern gehört. Nach einem sieben Wochen langen Prozess hat sich die Jury eines Gerichts im kalifornischen Oakland am Montag wie von Miller erhofft auf spektakuläre Weise auf die Seite des erkrankten Ehepaars geschlagen. Sie sprach den Pilliods nicht nur rund 55 Millionen Dollar Schadenersatz zu, sondern verhängte auch eine zusätzliche Strafzahlung („Punitive Damages“) von zwei Milliarden Dollar. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie für die Anwälte des Paares, die genau diese Summen gefordert hatten. Und für Bayer war es im dritten Glyphosat-Prozess die dritte und bislang schwerste Niederlage." Und der Anwalt sagt, er werde auch dafür kämpfen, dass das jetzt gesprochene Urteil aufrechterhalten wird. Schließlich sei bei besonders grobem Fehlverhalten, wie er es Monsanto vorwirft, auch eine Aufhebung der Grenze für „Punitive Damages“ vorgesehen. Für Bayer wären freilich auch 550 Millionen Dollar schwer zu verschmerzen. Schließlich handelt es sich hier nur um einen Fall aus einer Flut von mehr als 13000 Klagen. Die Ausgangslage für Bayer nach dem dritten Prozess beschreibt Miller in dramatischen Worten: „Wenn sie ihr Unternehmen retten wollen, dann müssen sie sich beeilen.“ Er sieht die Pestizidhersteller unter „enormem Druck“, außergerichtliche Vergleiche anzustreben, und je mehr Erfolge Kläger in Prozessen feierten, desto teurer werde das für den Konzern. Bayer-Vorstandsvorsitzender Werner Baumann lehnt bislang Vergleiche ab. Miller sagt, er habe den Bayer-Anwälten vor dem jüngsten Prozess ein Angebot für eine gütliche Einigung gemacht, sei aber abgeblitzt. Er will die von ihm vorgeschlagene Summe nicht nennen, sagt aber, es sei ein Bruchteil des Betrages gewesen, zu dem Bayer verurteilt wurde. Allerdings werden in naher Zukunft Gespräche über einen Vergleich mit einem Mediator erwartet; ein kalifornischer Richter hat dies kürzlich angeordnet. Miller sagt, er sei für diese Diskussionen offen und werde daran teilnehmen, allerdings in der Zwischenzeit die Glyphosat-Verfahren für seine Mandanten genauso weiterverfolgen wie bislang. Die bisherigen Prozesse fanden alle in Kalifornien statt und damit in einem Bundesstaat, der als sehr klägerfreundlich gilt. Beim nächsten Prozess wird es einen Ortswechsel geben, er soll im August in Monsantos Heimatstadt St. Louis beginnen. Miller sagt, es mache ihm keine Sorgen, Kläger außerhalb Kaliforniens zu vertreten. „Wir müssen nicht jedes einzelne Verfahren gewinnen und würden es auch verkraften, wenn Bayer ein paarmal in St. Louis gewinnt.“ Zudem sieht er Kalifornien nicht als einziges gutes Pflaster für sich. „Ich habe auch Fälle in Hawaii und Florida, und dort wird Bayer nie gewinnen.“ In diesen Bundesstaaten gebe es eine hohe Sensibilität gegenüber Fällen, in denen es um Umweltbelastungen gehe. Miller rechnet sich auch sehr gute Chancen für einen der kommenden Prozesse in Kalifornien aus. Anders als etwa beim Ehepaar Pilliod habe Elaine Stevick, die Klägerin in diesem Fall, keine nennenswerten Vorerkrankungen, die als Risikofaktoren für ihr Krebsleiden gewertet werden könnten; die Ausgangslage sei hier also noch besser. Der Stevick-Prozess sollte eigentlich schon im Mai 2019 beginnen, wurde aber verschoben und könnte nach Millers Einschätzung im Herbst stattfinden. Der Anwalt hat auch mit Interesse die jüngsten Enthüllungen registriert, wonach Monsanto in Europa geheime Listen über seine Kritiker geführt hat. Er kann sich vorstellen, das auch in künftigen Glyphosat-Fällen in Amerika als Beweismittel heranzuziehen, sofern es die jeweiligen Richter erlauben. Es könnte nach seiner Auffassung Relevanz haben, wenn Monsantos Umgang mit europäischen und amerikanischen Behörden thematisiert wird, die Glyphosat für sicher erklärt haben. Bayer-Vorstandschef Baumann wird derzeit angesichts der Klagewelle rund um Glyphosat oft vorgeworfen, die mit dem Kauf von Monsanto verbundenen Rechtsrisiken unterschätzt zu haben. Diese Auffassung teilt auch Miller: „Bayer hat die Katze im Sack gekauft.“ Der Konzern weist zu seiner Rechtfertigung oft darauf hin, dass sich zum Zeitpunkt des Beginns der Übernahmegespräche die Zahl der Glyphosat-Klagen noch in Grenzen gehalten habe. Miller kontert, je näher der Vollzug der Akquisition gerückt sei, umso klarer sei auch geworden, wie bedrohlich die Rechtsstreitigkeiten werden könnten. „Das hätte ihnen jeder sagen können.“ Die Zahl der Klagen hat bald die Marke 100.000 erreicht. [75]
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