Apicultural Review Letters
(Kritische Apikultur Briefe)

386. Brief
18. September 2009

Aktualisierte Fassung von: "Warré Beute oder Top bar hive? Ist die Bienenkiste wirklich so artgerecht und wesensgemäß wie immer behauptet wird?" in:
 

Bienenkiste, Warré oder Top bar hive - welcher Bienenkasten ist besonders für Anfänger und Hobbyimker gut geeignet?

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Warré Beute oder Top bar hive? - Ist die Warré Beute wirklich so einfach und bienengerecht wie immer behauptet wird? Imkerei nach Warré oder nach Kriterien des Zentrums für wesensgemäße Bienenhaltung?


Abbé Émile Warré (?-1951) hat ein nicht uninteressantes Buch geschrieben: L'Apiculture por Tous. Viele Imker im deutsch-, englisch- und französischsprachigen Raum haben sich davon inspirieren lassen. Man wollte die Rähmchenimkerei mit allen ihren Nachteilen hinter sich lassen und die Bienen wieder ihre Waben natürlich bauen lassen. Das ist ja auch eine wirklich schöne Sache. [1]

Da die Warré-Beute oder modifizierte Warré-Beuten auch heute unter Imkern immer populärer werden, teilweise vielleicht weil ausführliche Bücher [2] darüber im Imternet kostenlos zur Verfügung gestellt werden, teilweise weil diese Betriebsweise von immer mehr Imkern in den höchsten Tönen gelobt wird, sehen wir uns diese Betriebsweise einmal genauer an. Immerhin sagt der Autor von Bienenhaltung für Alle:

"Die Imkerei nach Warré bietet dem modernen Imker die Chance auf eine einfache und bienengerechte Bienenhaltung. Für alle! Sehr sicher ist, dass die Erträge weit unter den Erträgen der Berufsimker und ihren Nachahmern, den Hobbyimkern zurückliegen werden. Als Entschädigung dafür darf die Freiheit des Honigs von Medikamenten gelten. Sowie die Gewissheit, eine nachhaltige und bienengerechte Haltung zu praktizieren. Die Ersparnis der vielen Arbeiten konventioneller Methoden fließt direkt in Stunden der verträumten Beobachtung und des Erlebens eines einzigartigen Wesen: Dem Bien." [2]

Wirklich sicher ist, daß "die Erträge weit unter den Erträgen der Berufsimker und ihren Nachahmern, den Hobbyimkern" liegen. Aber ob "die Gewissheit, eine nachhaltige und bienengerechte Haltung zu praktizieren" dabei tatsächlich existiert, diesen Nachweis sind uns die Protagonisten der Warré-Beute schuldig geblieben. Eine "verträumte Beobachtung" macht noch keine "nachhaltige und bienengerechte Haltung".

Von Vorteil ist wirklich, daß die Warré-Beute ohne Rähmchen auskommt - darin unterscheidet sie sich noch nicht vom Top bar hive. Problematisch ist aber, daß die Warré-Beute mit Zargen arbeitet wie sie in der Magazin-Imkerei üblich sind. Das heißt, wenn eine Zarge oder mehrere Zargen abgenommen werden, ist das Brutnest geöffnet. Schon der kleinste Einblick in das Völk erfordert eine Öffnung des Brutnestes und damit eine Störung des Völkes und Veränderung der Brutnesttemperatur (Nestduftwärmebindung); zudem ist es unerläßlich, mit Rauch zu arbeiten - eben weil das Bienenvolk stark gestört wird. Allein diese Tatsache macht die "Chance auf eine einfache und bienengerechte Bienenhaltung" weitgehend zunichte. Auch imkergerecht kann diese Betriebsweise nicht genannt werden, denn das Heben von schweren Zargen ist genauso erforderlich wie bei der Magazinimkerei.

"Durch das Eingangsloch werden ein paar kräftige Stöße Rauch mit dem Smokergegeben. Nun wartet man ab, bis die Bienen ein säuselndes Geräusch von sich geben. Feueralarm. Die Bienen brauchen etwas Zeit, um sich mit Honig zu betanken und dadurch etwas von der Bereitschaft zu Stechen abkommen. Säuseln die Bienen, wird das Dach und das Heukissen vorsichtig abgenommen. Allgemein gilt: Jede grobe Erschütterung vermeiden. Man kann alles mit Bienen veranstalten, aber an der Kiste rütteln – das macht sie sehr ärgerlich. Ein paar Rauchstöße von oben in die Zarge. Manche legen auch ein mit etwas Nelkenöl getränktes Tuch oben auf. Man nimmt den Stockmeißel und trennt die oberste Zarge mit einem kleinen Hebel von der darunter liegenden Zarge.Möglichst ruckfrei. Ganz ohne geht es nicht, aber eben so wenig wie
möglich. Bevor die oberste Zarge abgehoben wird, etwas innehalten, damit die Bienen sich etwas vom Ruckeln beruhigen dürfen. Dann die Kiste abkippen und mit der Kante auf die untere Zarge absetzen und mit ein paar Rauchstößen die Bienen dazu bewegen, aus der Kiste nach unten zu klettern. Währenddessen sieht der Imker sich die Waben an: Sind sie verdeckelt und voll Honig? Je nachdem, wie stark die Bienen die Beute ausgebaut haben, ist die oberste Zarge auch schon im ersten Jahr voll mit Honig. Die Zarge wird nun an die Seite auf den Ständer (sieheZubehör, dort Rost aus Latten genannt) abgestellt und mit einer Zeitungabgedeckt. Die nächste Zarge wird inspiziert und abgenommen – nach dem gleichen Verfahren. Im zweiten Jahr werden die zwei obersten Zargen sicher voll Honig sein. Diese Zarge wird nun ebenfalls von Bienen befreit – so gut wie möglich –und an die Seite gestellt. Mit Zeitung abdecken. Die untersten zwei Zargen sind beide spätestens ab dem zweiten Jahr ausgebaut. Im ersten Jahr hängt das davon ab, wie gut die Tracht war und wie früh der Schwarm eingezogen ist." [2]

Damit aber nicht genug. Der Warré-Beuten-Imker hält es für bienengerecht, die Wabenstellung innerhalb der Beute nach Belieben zu verändern. Das Flugloch wird zwar an Ort und Stelle belassen, aber das Wabenwerk einmal quer zum Flugloch (Warmbau) oder einmal längs zum Flugloch (Kaltbau) durch "Drehen der Beute" ausgerichtet. Die Ähnlichkeit mit der Drehrahmenbeute (gilt als Prototyp einer nicht bienengerechten Haltung), ist sogar noch größer als bei der sogenannten Bienenkiste [3]

"Nun folgt eine Besonderheit im Detail: Die Wabenstellung wird wie folgtvorgenommen. Es gibt eine Winter- und eine Sommerstellung der Waben. Das Flugloch zeigt immer in die gleiche Richtung, doch die Ausrichtung der Waben (Achtung, nicht der Oberträger!) werden durch einfaches Drehen der Beute gewechselt." [2]

Die Warré-Betriebsweise versteht sich oft als einfache Betriebsweise, die besonders für Anfänger und Hobbyimker geeignet wäre. Ich fürchte eher das Gegenteil ist der Fall: eine sehr kompliziert konstruierte Beute mit den bekannten Nachteilen der Magazinimkerei, das heißt das Bienenvolk wird auf ähnliche Weise gestört. Gerade Top bar hives sind weltweit bekannt dafür, daß man mit einem Minimum an Eingriffen auskommt. Top bar hives sind nicht nur einfacher konstruiert als die Warré-Beute, auch der Betreuungsaufwand ist viel geringer. Bei heutiger Betriebsweise steht bei Top bar hives die wirtschaftliche Honigernte nicht im Vordergrund, sondern - soweit es sich um zertifizierte Partner-Imkereien handelt - eine wesensgemäße Bienenhaltung und die Erzeugung apitherapeutischer Produkte. Beides ist bei der Warré-Beute kaum möglich.

Die Entnahme einiger Waben aus dem Randbereich bedeutet nicht, daß das Brutnest gestört wird. In Top bar hives wird gerade das Brutnest am allerwenigsten gestört. In Magazinbeuten, der Warré-Beute, der Mellifera-Großraum-Beute oder der Bienenkiste gerät dagegen das gesamte Volk in Aufruhr, wenn der Imker auch nur einen kleinen Einblick in das Volk erhaschen will.

Sicher, TBH's sind für Anfänger nicht so leicht wie Beuten mit Rähmchen. Dafür ist das Arbeiten sowohl für die Bienen als auch für die Imker entschieden stressärmer. Man kommt grundsätzlich ohne Rauch aus. Weil aber bei Rähmchen-Beuten und der Warré-Beute das Gesamte Volk in Aufruhr gerät, wenn der Imker sich ein Bild von seinem Volk machen soll, sind die Bienen viel agressiver als bei TBH's. Ohne Rauch (man gaukelt dem Volk ein Buschfeuer vor) geht es bei der Magazin- oder Warré-Beuten-Imkerei nicht.

Ist Ihnen schon einmal ein Bienenvolk begegnet, das sich zusammen mit seinem Wabenwerk innerhalb einer Baumhöhle gedreht hätte?

Mit wesensgemäßer Bienenhaltung hat die Warré-Beute also nichts zu tun. Auch für Anfänger ist sie nicht einfacher zu bewirtschaften als Tbh's. Die Gewinnung apitherapeutischer Produkte ist kaum möglich, denn der Honig stammt aus "bebrüteten Waben". Allenfalls wird Presshonig gewonnen. Aber Wabenhonig und Wabenhonig mit Bienenbrot und Tropfhonig kann bei der Warré-Betriebsweise fast nicht geerntet werden, es sei den man nimmt Vorlieb mit Wabenhonig in bebrüteten Waben - was unter manchen Warré-Beuten-Imkern auch brav geschluckt wird!

Also wer ernsthaft mit der wesensgemäßen Bienenhaltung anfangen will, sollte mit Top bar hives beginnen (Top bar hives konstruiert nach den Kriterien des Zentrums für wesensgemäße Bienenhaltung), Mitglied im N.A.C. werden oder Partner-Imkerei des Zentrums für wesensgemäße Bienenhaltung werden.

M.T.
___________________
[1] Abbé Émile Warré:  L'Apiculture pour Tous - beekeeping for all. Translated by David Heaf 2007
[2] Berndhard Heuvel 2008: Bienenhaltung für Alle
[3] Thiele, M. 2009: "Bienenkiste" oder Top bar hive? Ist die Bienenkiste wirklich so artgerecht und wesensgemäß wie immer behauptet wird? Apicultural Review letters, 8, Nr.379
 
 

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Die Gesamtausgabe der Briefe erscheint in der Fachzeitschrift "Apikultur"

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