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Es kann leicht der Eindruck entstehen, daß zu viele Akteure im Bereich der natürlichen Bienenhaltung und Bücher zu diesem Thema in meinen Veröffentlichungen unter die Lupe genommen werden und die Bienenwissenschaft vernachlässigt wird. Dies ist aber nicht so. Die neuesten Erkenntnisse aus dieser Wissenschaft werden ebenso besprochen, so zum Beispiel im 72. Brief (Briefe zur wesensgemäßen Bienenhaltung Teil III).
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts war die Hypothese, je länger eine Sommerbiene lebe, desto öfters könne sie ausfliegen und Nektar oder Honigtau eintragen, Anlaß, nach genetisch bedingten Unterschieden in der Lebensdauer der Arbeiterinnen zu suchen. Wie von einem damaligen Labor-Wissenschaftler nicht anders zu erwarten, hat er, um die Lebensdauer der Arbeiterinnen zu bestimmen, sie kurzerhand im Labor gefangen gehalten. Eine Biene aus dem Zusammenhang ihres Volkes gerissen, wird wohl kaum in der Lage sein uns ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Dies wird heute auch von wissenschaftlicher Seite bestätigt:
„Ob diese Vorgehensweise für die Beurteilung der gentechnisch bedingten Lebensdauer von Arbeiterinnen wirklich geeignet ist kann in Frage gestellt werden. Winterbienen überleben den Winter nicht, wenn man sie in einen Käfig sperrt. Das tun sie nur im Volk" (1).
Daher arbeitet man heute mit markierten Bienen. Im Schnitt kann man sagen, daß eine Königin 3-4 Jahre, die Arbeiterinnen 6-8 Monate (sogenannte Winterbienen) bzw. nur einige Wochen (sog. Sommerbienen), und die Drohnen etwa „einen Sommer lang". Ihrem Leben wird in der Regel in der „Drohnenschlacht" gewaltsam ein Ende gesetzt. Doch gibt es auch Ausnahmen:
„Bei Populationsschätzungen, bei denen alle Waben eines Volkes gezogen und genau betrachtet wurden, begegnen wir dem männlichen Geschlecht mindestens in einem Volk eines Bienenstandes noch im Herbst. Die Schlußfolgerung ‘hier stimmt was nicht!’ hat sich bei der weiteren Beobachtung des betreffenden Volkes im folgenden Frühjahr meistens las falsch erwiesen" (2).
Dies ist eine interessante Entdeckung und deutet darauf hin, daß früher, als die Bienenrassen weniger hochgezüchtet waren, es vielleicht selbstverständlich war, daß einige Drohnen auch im Winter im Volk überdauerten. Herr Liebig meint: „Es dürfte allerdings kaum einem Drohn gelingen, den Winter zu überstehen" (3). Ich selbst habe aber die Beobachtung gemacht, daß von solch einem Volk an einem milden Januartag auch Drohnen aufflogen. Diese können wohl kaum schon so früh gebrütet sein, sondern müssen erfolgreich überwintert haben.
Wie sieht denn der Lebenslauf eines Bienenvolkes aus? Auch hier hat Herr Liebig interessante Untersuchungen gemacht. Am 5. Juni 1996 hat er ein kleines Völkchen von 875 Bienen zusammen mit einer brutfreien Bienenwabe, einer Futterwabe, einer frisch geschlüpften Königin und 8 leeren Rähmchen in ein Magazin gegeben. Ende Juni, kurz bevor die erste Brut schlüpfte, hatte es nur noch 500 Bienen und ein Brutnest von 400 Zellen. Innerhalb von zwei Monaten, bis Ende August stieg die Bienenzahl auf 8.000 an. Am 10. Oktober wurde das Volk mit 7750 Bienen im brutfreien Zustand eingewintert. Während des Winters verlor das Volk nur wenig an Stärke. Am 6. März hatte es noch 7450 Bienen und bereits 8.400 Brutzellen. Das Brutnest nahm drei Monate lang ständig an Umfang zu und erreichte am 28. Mai sein Maximum mit fast 40.000 Brutzellen. Im Juni und Juli pflegte das Volk durchgehend deutlich mehr als 30.000 Brutzellen. Im August und September schrumpfte das Brutnest wieder, und im Oktober 1997 war das Volk wie im Vorjahr brutfrei.
Wie kann man nun die Lebensdauer der einzelnen Bienen beurteilen? Man betrachtet den Zustand des Volkes zu Beginn seiner Entwicklung, in diesem Falle am 27. Juni 1996 und 21 Tage später, am 18. Juli. Am 27 Juni hatte das Volk 500 Bienen und 4.000 Brutzellen. Nach Herrn Liebig waren die 500 Bienen des Jungvolkes am 27 Juni mindestens 22 Tage alt. Bis zur Populationsschätzung am 18. Juli dürften diese Bienen abgegangen sein. Nur diese oder auch noch andere?
„Aber nicht nur diese, sondern auch ein großer Teil der Bienen, die am 27. Juni noch gar nicht geschlüpft waren! Im Schätzintervall zwischen dem 27. Juni und dem 18. Juli hätte das Volk 19 um 4.000 Bienen wachsen können, unter der Voraussetzung das alle Brut geschlüpft und keine einzige Biene verloren gegangen wäre. Tatsächlich wurde das Volk aber nur um 1.750 Bienen stärker. Wenn man davon ausgeht, dass die älteren Bienen zuerst sterben, dann sind in dem Schätzintervall die 500 Bienen verschwunden, die vor dem 5. Juni im Pflegevolk zu Welt gekommen sind und außerdem fast die Hälfte der Bienen, die im Schätzintervall geschlüpft sind. Diese wurden im Durchschnitt noch nicht einmal zwei Wochen alt" (5).
Ein ähnliches Resultat bringt der nächste Schätzintervall zwischen dem 18. Juli und 8. August. In vielen Lehrbüchern wird eine Lebensdauer von 4-6 Wochen angegeben. Dies würde bedeuten, daß ein Brutmaximum von 4.000 Zellen zu einer Volksstärke von 50.000 bis 80.000 Bienen führen. Nur selten zählt nach Herrn Liebig ein Volk imm Sommer mehr als 40.000 Bienen, obwohl im Beobachtungszeitraum von Juli 1996 bis Oktober 1997 mehr als 275.000 Bienen geschlüpft sind! Es sind aber im gleichen Zeitraum auch mehr als 265.000 Bienen gestorben. Herr Liebig kommt daher zu folgender Schlußfolgerung:
„Von April bis August 1997 wurden die Sommerbienen des Volkes 19 im Durchschnitt zwischen 2 und 3 Wochen alt! Dieses Ergebnis ist kein Einzelfall, sondern die Regel. Deshalb ist die Behauptung, auf die man in vielen ‘Fachbüchern’ bei der Beschreibung des Lebensweges der Arbeiterinnen stößt, nach der eine Arbeiterin erst nach drei Wochen ‘Innendienst’ als Sammlerin tätig wird und als solche weitere drei Wochen lang arbeitet, nicht richtig" (6).
Von welchen Faktoren hängt die Lebensdauer ab? Der mit Abstand wichtigste ist wohl die Brutpflege. Je mehr Brut ein Bienenvolk aufzieht, desto kurzlebiger sind seine Arbeiterinnen. Dennoch wachsen die Völker im Frühjahr um so stärker je mehr sie brüten. Da außerdem gilt, daß die Brutleistung im Frühjahr in starkem Maße von der Bienenzahl abhängig ist, kommt der Volksstärke ausgangs des Winters eine Schlüsselfunktion für die weitere Volksentwicklung zu. Nach Herrn Liebig gilt die simple Regel: mehr Bienen - mehr Brut, mehr Brut - mehr Bienen usw. (... und mehr Honig). Die Nutzung einer Tracht scheint die Lebensdauer der Sommerbienen überhaupt nicht zu beeinflussen; denn in „sammelfaulen" Völkern leben die Arbeiterinnen nicht länger als in „fleißigen" Völkern. Auch die Verarbeitung von flüssigem oder festem Futter, das zur Jungvolkpflege oder zur Winterauffütterung verabreicht wird, wirkt sich nach Herrn Liebig nicht auf die Lebensdauer der Arbeiterinnen aus. Diese leben nicht länger, wenn sie statt Zuckerwasser, Sirup oder Futterteig in Form von verdeckelten Honigwaben erhalten. Auch wenn es nach Herrn Liebig keine Unterschiede zwischen den Futterarten gibt, die Verarbeitung von Zuckerwasser oder Futterteig die Bienen nicht stärker in Anspruch nimmt als die von Sirup, so werden den Bienen aber durch eine Winterfütterung, die spezielle Kräutertees (7) und Honig enthalten, insgesamt gestärkt.
„Das Brutgeschäft wird weder durch Eintrag von Nektar oder Honigtau noch durch Fütterung angeregt. Dagegen ist eine Einschränkung des Brutnestes durch massive Tracht oder Fütterung möglich, was sich lebensverlängernd auf die Arbeiterinnen auswirkt, die von der Brutpflege verschont bleiben" (8).
Nach Herrn Liebig ist die Kurzlebigkeit der Sommerbienen eine wesentliche Eigenschaft des Bienenvolkes, die nur wenig von der Umwelt beeinflußt wird. Sie ist Ausdruck eines hohen Bienenumsatzes, der während der Brutperiode von allen Völkern gleich welcher Herkunft angestrebt wird und dessen Sinn wohl hauptsächlich darin liegt, dem Ausbruch von Krankheiten vorzubeugen. Diese biologische Abwehr von Krankheitserregern sollte durch imkerliche Maßnahmen nicht geschwächt werden, so wie eine Gesamtschwächung des Volkes nicht durch künstliche Besamung und das Umlarv-Verfahren.
____________________
1. Liebig, G., 2002: Über das Lebensalter der Bienen.
Kurzlebigkeit ist die Grundlage der Bienengesundheit. Deutsches Bienenjournal
10 (2): 48-50. Berlin, Germany.
2. Ibid.
3. Ibid.
4. Ibid.
5. Ibid.
6. Ibid.
7. Siehe Internet Kurse #
01 und #02.
Bad Sooden, Germany.
8. Liebig, G., 2002, siehe Anmerk. 1.
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